am Freitag, 3. November 2017, im Dorfgemeinschaftshaus Wilhelmshausen
Der Bahnhof von Hümme war schon immer da. Naja – fast immer.
Zumindest so lange, wie die Akteure denken können, die wir heute für Ihr herausragendes ehrenamtliches Engagement an diesem Gebäude auszeichnen wollen.
Wo ist Hümme? Eingebettet zwischen Reinhardswald und Diemeltal liegt es im Norden des Landkreises Kassel. Anders als andere Dörfer in ähnlicher Lage wurde Hümme nicht nur landwirtschaftlich geprägt. Der Reise- und Güterverkehr tat sein Übriges. Hümme war Bahndorf. Mitte des 19.Jahrhunderts wurde Hümme zum Knotenpunkt von Carlsbahn und Friedrich-Wilhelms-Nordbahn und bekam 1897 ein repräsentatives Empfangsgebäude. Doch 1966 endete der Reiseverkehr nach Bad Karlshafen, etwas später dann der Güterverkehr. Das Empfangsgebäude wurde aufgegeben, es stand lange leer und drohte zu verfallen.
Und spätestens an dieser Stelle kommen Sie ins Spiel, die ehrenamtlichen Akteure von Hümme. Sie, die dem Verfall „ihres“ Bahnhofs nicht weiter zuschauen wollten.
Um ein im Verfall befindliches Denkmal zu sanieren, braucht es nicht nur Leidensbereitschaft. (Die allerdings auch!)
Zu allererst braucht es eine gute Idee. Eine gute, fundierte, vielleicht sogar eine leidenschaftliche Idee für eine Nutzung, die tatsächlich funktionieren könnte. Diese Idee muss zu dem Gebäude passen. Und zu den Menschen, die den Aufwand der Sanierung sowie den des späteren Erhalts tragen.
Für diese Idee haben Sie eine Machbarkeitsstudie durchgeführt. Mit Bürgerbeteiligung. Und am Ende davon hatten Sie noch immer Lust, etwas zu unternehmen.
Aus der prominenten Ruine im Dorf, „ihrem“ Bahnhof, sollte ein „Mehrgenerationenhaus“ werden. Ein Treffpunkt für alle Altersgruppen mit zahlreichen Angeboten für Betreuung, Beratung und Nachbarschaftshilfe, mit kulturellen Angeboten und Räumen für die Hümmer Vereine und die Ev. Kirchengemeinde.
Als Arbeitsgruppe haben Sie sich aufgemacht, dafür Verbündete zu suchen, Kooperationen zu schließen, Förderungen zu beantragen und die Grenzen des Möglichen auszuloten.
Schließlich kaufte die Stadt das Gebäude und schloss mit dem mittlerweile gegründeten Verein „Generationenhaus Bahnhof Hümme e.V.“ einen langfristigen Pachtvertrag. Dieser Verein ist nun Betreiber des Mehrgenerationenhauses und trägt alle laufenden Kosten selber.
„Ihr“ Bahnhof war in einem schlechten Zustand. An verschiedenen Stellen hatte es reingeregnet, der Turm drohte einzustürzen. Die Sanierung würde teuer werden, soviel war klar. Erklärtes Ziel von Anfang an war, möglichst wenig weitere kommunale Gelder zu benötigen. An dieser Stelle war es sicher von Vorteil, dass einer in ihrem Boot sich in der bunten Landschaft von Förderprogrammen und Regionalentwicklung außerordentlich gut auskennt und bereit war, mit diesem Wissen vielleicht so eine Art „Meisterstück“ zu versuchen.
So gab es erhebliche Zuschüsse z.B. von der Verkehrsinfrastruktur, Leader und der Dekmalpflege .
Doch wahrscheinlich hätte es diese nicht in der notwendigen Höhe gegeben, wenn Sie nicht alle - mit all ihren verschiedenen Fähigkeiten - unermüdlich mitgeholfen hätten und die unbezahlbare Eigenleistung erbracht hätten. 2,5 Jahre haben Sie mit bis zu 30 Personen jeden zweiten Samstag mitgearbeitet und insgesamt 4000 Stunden lang ehrenamtlich weggeschafft, aufgebaut, gekocht und verwaltet, damit ihr Traum wahr werden würde. Respekt!
(Applaus)
Die baulichen Maßnahmen waren darauf ausgerichtet, den Charakter des Gebäudes möglichst zu erhalten. Die Außenhülle wurde in Abstimmung mit der Denkmalpflege saniert und auch im Innenbereich erkennt man die Liebe zum erhaltenden Detail:
So wurden alte Türen, Fenster und Fußböden z.T aufgearbeitet, historische Treppengeländer auf DIN-Norm gebracht und am ehemaligen Fahrkartenschalter kauft man jetzt die Eintrittskarten zu Kulturveranstaltungen im ehemaligen Wartesaal. Der Schallschutz wirkt da nun in beide Richtungen: Auch inmitten von Zugverkehr sind klassische Konzerte gut hörbar - und selbst sehr laute Popkonzert stören keine schlafenden Nachbarn.
Die Technik wurde im gesamten Haus erneuert, ringsum wurden energiesparende Maßnahmen vorgenommen, der Ausbau erfolgte größtenteils behindertengerecht.
Hümme ist heute Endhaltestelle der Regiotram. Für die Reisenden wurde deshalb auch ein Warteraum mit Toilettenanlage zur Verfügung gestellt.
Um die laufenden Kosten zu finanzieren, freut sich der Verein über seine „festen Mieter“ z.B. die Regio-Tram-Betriebsgesellschaft, die für ihre Fahrer hier einen Sozialraum eingerichtet hat. Der Bahnhof ist zudem Außenstelle der VHS geworden, viele Vereine und Musikgruppen treffen sich mittlerweile regelmäßig hier und zahlen dann einen Unkostenbeitrag. Manchmal gibt es kostenpflichtige Veranstaltungen, manchmal Spenden – doch keine private Feiern.
Die Identifizierung mit dem Projekt half in der Vergangenheit Kosten zu sparen – und sie tut es noch immer: Nutzungsgruppen bekommen heute Schlüssel und Hausordnung, die Veranstaltungen laufen selbstständig, der Umgang mit dem Inventar ist erfreulich pfleglich und wer etwas trinken will, tut seinen Obulus in die „Kasse des Vertrauens“. So einfach kann das sein.
Also: Ende gut-alles gut? Nein. Denn der Bahnhof Hümme ist ja nicht am Ende. Eben nicht! Er steht am Anfang, hat im Oktober seinen zweiten Geburtstag gefeiert. D.h. er kann jetzt laufen und lernt immer besser zu sprechen.
In diesem Jahr wurde der Bahnhof in Förderprogramme aufgenommen, die Einstellungen ermöglichen. Und auch das ist wichtig: Bei aller Bereitschaft der Aktiven – um Möglichkeitsraum kontinuierlich zu betreuen, braucht es dann doch irgendwann eine Kombination aus Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen, um der Selbstausbeutung entgegen zu treten.
Das Generationenhaus Bahnhof Hümme versucht m.E. Antwort auf verschiedene Fragen zu sein: Wie können wir als Bürger in schwachen ländlichen Regionen agieren, wo Strukturen abgebaut und öffentliche Gelder weniger werden? Was können wir mit unserer wertvollen historischen Bausubstanz im Ort anfangen? Und auch: Wie wollen wir eigentlich noch zusammen leben?
Auch „auf dem Dorf“ verlieren sich Verbindlichkeiten, gemeinsame Strukturen und Orte. Was früher die Familie, die Kirche, die Straße, die Kneipe oder die Bank vor dem Haus übernommen hat, verändert sich. Die Folge ist nicht selten auch Zerstreuung und Einsamkeit. Vereine beklagen mangelnde Festlegungsbereitschaft, projektbezogenes Engagement dagegen ist eher möglich.
Im Bahnhof Hümme gibt es jetzt konkrete Angebote, die diesen Phänomenen entsprechen und den Charakter eines Bahnhofs auf neue Weise verlebendigen: Ein sozialer Treffpunkt mit Hilfsangeboten, in dem mehrere Nutzungen parallel möglich sind. Das Gefühl, jederzeit kommen und gehen zu können. Feste Zeiten für bestimmte Richtungen. Ein historischer Ort voller Leben. Ein (halb)öffentlicher Raum mit Hausordnung. Alles ganz genau wie in jedem Bahnhof. Nur eben anders. Dank Ihnen!
Die Jury hat daher entschieden, dem „Generationenhaus Bahnhof Hümme e.V.“ den diesjährigen Sonderpreis für herausragendes ehrenamtliches Engagement zu verleihen. Wir beglückwünschen Sie zu dieser Auszeichnung!