Geschichtskreis Hümme
Aus: Hümmer Geschichte und Geschichten, Pit Morell, Geschichten vom Hümmer Bahnhof - Erinnerungen -, Band II / 2000
In den 50er Jahren kam auch immer der Gemeindediener mit seinem Fahrrad. Er nahm seine Bimmel mit hölzernem Handgriff aus der Aktentasche. Die war an der Querstange vom Fahrrad angebracht, so mit
der oberen Lasche um die Stange herum und dann mit dem Schloss festgedrückt. Er fing an zu bimmeln und die Leute kamen aus dem Haus oder guckten zum Fenster hinaus. Er holte einen Bogen Papier
aus der Tasche und las die Bekanntmachungen der Gemeinde vor:
„Bekanntmachung! Morgen von 15 bis 17 Uhr werden die Holzscheine für die 12. Zuteilungsperiode ausgegeben.“ So etwa.
Der letzte Gemeindediener Hans Edelkraut (im Dorf Onkel Hänschen genannt) war ein Verwandter oder Bekannter von Wortmanns und Schachts. Er war ein sehr guter Bandoneonspieler und spielte in einer
Band mit, glaube ich. Oft hörten wir das Wort „Quetsch-Kommode“. Heute weiß ich eine Blockflöte von einer irischen Metall-Flöte zu unterscheiden. Das Balgen-Instrument Bandoneon – meistens mit
142 Tönen – wurde zuerst 1846 in einer Manufaktur in Deutschland in Carlsfeld im Erzgebirge gebaut. Es gelangte nach Südamerika. Besonders der Tango, der nationale Tanz Argentiniens, der die
Seele Argentiniens ausdrückt, erklingt dort vielfältig aus diesem Instrument. Es wurde zu einem nationalen Instrument. Es wird auch das Klavier des kleinen Mannes genannt. Die Arbeit von Hänschen
Edelkraut als Schlagzeuger in einer Band sehe ich klar vor mir. Er ist mit dem Bandoneon und seinem Schlagzeug als Alleinunterhalter aufgetreten. In verschiedenen Kapellen wirkte er aber nur als
Schlagzeuger mit. Ein Bandoneon ist kleiner als ein Akkordeon und hat einen ganz einzigartigen Klang, der unbeschreiblich ist. Heute sind Bandoneons sehr gesucht. Sie werden immer rarer. Es gibt
immer weniger. Sie sind heute eine Kostbarkeit, weil sie nicht mehr gebaut werden. Onkel Hänschen war ein wunderbarer Mann. Immer fröhlich und sehr humorvoll. Wie hätte er sonst Menschen in
seinen „Bann“ ziehen, sie froh stimmen und unterhalten können.
Seine Tätigkeit als Gemeinde-Bimmler und Ausrufer der für Alle so wichtigen Nachrichten in diesen Notzeiten spricht nur dafür, dass er in der Lage war, sowohl Musik als auch Nachrichten
herüberzubringen. Aber soeben höre ich von Willi Wortmann und da kommt mir die Erinnerung, dass sich Herr Edelkraut selbst zwei oder drei kleine „Musikinstrumente“ gebaut hatte. Die benutzte er
immer mal gern. Es waren so runde Stücke, die er mit Pergamentpapier drumherum bespannt hatte und in den Mund nahm. Damit erzeugte er saxophon- oder trompeten-ähnliche Töne. Die passten sehr gut
zu seinen Schlagzeugrhythmen. Sie waren rein vokal und ganz eigenwillig und individuell. Ich würde es „musikalische Arte Povera“ nennen. In der damaligen Zeit der Not, der Nachkriegszeit, war das
beliebt, es war einfach, kam an, wurde gebraucht, die Menschen konnten wieder lachen und fröhlich sein. Herr Hans Edelkraut nannte sein Instrument „Trompeller“. Daran erkennt man seinen Humor. Er
war Unterhaltungskünstler!
Hümme ist in die Kunstgeschichte Deutschlands bereits eingegangen durch Wilhelm Hugues, akademischer Bildhauer aus Hümme, dessen Großvater noch mit einer besonderen, ca. 120 cm langen Elle aus
Ebenholz mit weißen Maßeinteilungen zu seinen Auftraggebern ging. Sie war gleichzeitig Zunftzeichen und Gehstock. Im blauen Kittel ging er als Tischlermeister durch die Dörfer.
In der Musik wäre es noch Willi Wortmann, dessen Energie sich gelohnt hat. Er wurde Kammermusiker bei mehreren großen Symphonieorchestern, z. B. bei den Bochumer Symphonikern, der die Kunst der
Musik (z. B. Mitte Oktober 1997) wie schon oft nach USA, Los Angeles und Chicago trägt. Vom Hümmer Bahnhof war er gestartet.
Dieses und weitere Hefte, z. B. „Erinnerungen an das alte Hümme“ und „Hümme und der 2. Weltkrieg“ von Anneliese Landefeld sind erhältlich beim Vorstand des
Geschichtskreises, Dirk Altmann, Tel. 5057 oder geschichtskreis-huemme@t-online.de.